Halle (Saale)/MZ. – Paukenschlag in der politischen Sommerpause: Halles vorläufig suspendierter Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) tritt zurück. Wie die Stadtverwaltung am Donnerstag der MZ bestätigte, habe Wiegand den Antrag gestellt, zum 31. August dieses Jahres in den Ruhestand versetzt zu werden. Normalerweise würde seine Amtszeit am 30. November 2026 enden. Der Rückzug des 67-Jährigen nur wenige Wochen nach der Kommunalwahl setzt Parteien und Wählergruppen unter Druck. Innerhalb von sechs Monaten müssen nun Neuwahlen organisiert werden. Über Wiegands Antrag muss allerdings zunächst der Stadtrat als Dienstvorgesetzter entscheiden.
Wiegand beendet damit eine in Sachsen-Anhalt bislang einmalige jahrelange Hängepartie. Im April 2021 battle der OB wegen seiner Rolle in der Impfaffäre vom Stadtrat suspendiert und wenig später im Juni vom Landesverwaltungsamt vorläufig seiner Ämter enthoben worden. Das Landesverwaltungsamt kürzte zudem die Bezüge des Politikers um die Hälfte. Wiegand wird vorgeworfen, gegen die Impfreihenfolge verstoßen zu haben. Mitglieder des Stadtrats und des Katastrophenschutzstabs bekamen im Frühjahr 2021 Spritzen gegen das Coronavirus, obwohl sie noch nicht an der Reihe waren. Die Staatsanwaltschaft stellte Strafanzeige gegen Wiegand. Allerdings lehnte das Landgericht Halle die Eröffnung eines Verfahrens ab. Der OB, der sich als Opfer einer politischen Intrige bezeichnet, sah sich im Recht.
Den Ausschlag für Wiegands Rücktritt gab ein anderer Strafprozess: Im April dieses Jahres battle der OB vom Landgericht wegen mehrfacher Falschaussage zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen je 140 Euro verurteilt worden, insgesamt 16.800 Euro. Ab 90 Tagessätzen gilt ein Angeklagter als vorbestraft. Die Strafkammer sah es als erwiesen an, dass Wiegand im Oktober 2020 in einem Zivilprozess mehrfach gelogen hatte. In dem Verfahren hatte der ehemalige Geschäftsführer der städtischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft EVG, Jan Hüttner, auf Lohnfortzahlung geklagt. Der Supervisor battle nach einem Streit mit dem OB vom Aufsichtsrat abberufen worden.
Seit Wochen verdichteten sich die Hinweise, dass Wiegand zurücktreten könnte. „Ich muss abwägen, was für mich das Beste ist. So wie die Verfahren laufen, könnte ich erst 2026 in mein Amt zurückkehren. Dann noch etwas gestalten zu wollen, wäre unmöglich“, hatte er gegenüber der MZ geäußert. Für ein aktuelles Assertion battle der OB nicht erreichbar.
Zwar hatte Wiegand gegen das Urteil Revision eingelegt, über die der Bundesgerichtshof entscheiden müsste. Allerdings ist Wiegand und seinen Anwälten nach der Prüfung der schriftlichen Urteilsverkündung offenbar noch nicht klar, welche Erfolgsaussichten eine Revision hat. Da das Disziplinarverfahren ruht, solange der Strafprozess nicht abgeschlossen ist, galt eine Rückkehr in den Ratshof vor Ablauf seiner Amtszeit als ausgeschlossen.
Aus der Stadtpolitik kamen verhaltene Töne. „Im Interesse der Stadt ist es intestine, dass er den Weg für Neuwahlen freimacht“, sagte CDU-Kreisvorsitzender Marco Tullner. Man müsse den Parteien Zeit lassen, damit umzugehen, meinte Katja Müller, Fraktionschefin der Linken im Stadtrat. Die AfD kündigte an, das Aufstellen eines Kandidaten für die Neuwahl prüfen zu wollen. „Wir haben die Kommunalwahl gewonnen. Da gibt es eine gewisse Erwartungshaltung“, sagte Fraktionsvorsitzender Alexander Raue. Das Landesverwaltungsamt will das Disziplinarverfahren gegen Wiegand fortsetzen. Als Höchststrafe sei nun nicht die Entfernung aus dem Amt, sondern eine Aberkennung der Pension vorgesehen.